In 1969 schrieb Sherry Arnstein den aufschlussreichen Artikel “A Ladder Of Citizen Participation” im Journal of the American Planning Association. Auf neun Seiten legte sie auf Alibi-Beteiligungsprogramme offen und kategorisierte die verschiedenen Arten der Beteiligung und vor allem die Nichtbeteiligung.
Um den Gegensatz zwischen leerem Ritual und echte Beteiligung zu verdeutlichen, schrieb sie:
“Es besteht ein entscheidender Unterschied zwischen dem leeren Ritual der Beteiligung und der tatsächlichen Macht, die nötig ist, um das Ergebnis des Prozesses zu beeinflussen. […] Partizipation ohne Umverteilung von Macht ist ein leerer und frustrierender Prozess für die Machtlosen. Es erlaubt den Machthabern zu behaupten, dass alle Seiten berücksichtigt wurden, aber es ermöglicht das nur eine dieser Seiten davon profitiert. Es erhält den Status quo aufrecht.”
Sie beschrieb dann ihre “Leiter der Bürgerbeteiligung”, bei der jede höhere Sprosse eine umfassendere Beteiligung der Bürger an einem Prozess darstellt. Sie räumte ein, dass ein Erklärungsmodell nicht auf alle Situationen angewandt werden kann.
Ausgehend von der untersten Sprosse, die Stufen der Leiter sind folgende:
1. Manipulation
Um den Anschein von “Bürgerbeteiligung” zu erwecken, werden Menschen in beratende Ausschüsse berufen oder zu Diskussionsforen eingeladen, um sie zu “erziehen” oder ihre Unterstützung zu gewinnen. Diese Sprosse der Leiter ist keine echte Bürgerbeteiligung, sondern lediglich Teil einer PR-Kampagne der Machthaber. Ein Treffen oder eine Veranstaltung ist dadurch gekennzeichnet, dass Beamte die Bürger aufklären, überzeugen und beraten, nicht umgekehrt. Die kontroversen Informationen werden den Bürgern vorenthalten und stattdessen wird ein rosiges Bild gezeichnet, um sie zu manipulieren und ihre Unterstützung zu gewinnen.
2. Therapie
Diese Form der Nichtbeteiligung kann auch die unterste Sprosse der Leiter sein. Die Machthaber gehen in diesem Fall davon aus, dass Machtlosigkeit gleichbedeutend mit einer Geisteskrankheit ist. Der Bürger, der eine andere Meinung hat, ist dumm. Diese Form der “Partizipation” verwickelt die Bürger in umfangreiche Aktivitäten, die darauf abzielen, ihnen klarzumachen, dass ihre Einwände idiotisch und unberechtigt sind. Die Bürokraten, Ingenieure, Beamten oder Politiker sind arrogant und haben eine Verachtung für die Machtlosen. Das heimtückische Verfahren ist darauf ausgelegt, die Opposition zu zermürben.
3. Informieren
Das Informieren der Bürger ist ein wichtiger erster Schritt zu einer legitimen Bürgerbeteiligung. Ohne zu wissen, welche Rechte, Pflichten und Möglichkeiten ein Bürger hat, kann er oder sie sich nicht beteiligen. Ohne Zugang zu Informationen über ein Projekt oder ein Programm kann ein Bürger es nicht verstehen und kann nicht einmal anfangen mögliche Schwachstellen darin finden. Machtinhaber können die Beteiligung an weiteren Sprossen der Bürgerbeteiligungsleiter verhindern, wenn sie eine Informationshierarchie einführen. Wenn nicht alle Informationen zur Verfügung gestellt werden oder die Informationen erst in einem späten Stadium der Planung bereitgestellt werden, sind die Möglichkeiten der Bürger, den Prozess zu beeinflussen, begrenzt. Es können die Machthaber auch eine Informationshierarchie einführen, indem sie ein Konvolut von Tausenden von Seiten an Details zur Verfügung stellen und den Bürgern mit Information überschwemmen und so unangenehme Informationen darin verstecken oder durch legalistische oder technische Fachjargon verschleiern. Arnstein stellt fest, dass “zu häufig der Schwerpunkt auf einem einseitigen Informationsfluss von Beamten zu Bürgern liegt, ohne dass ein Kanal für Rückmeldungen vorgesehen ist und ohne die Möglichkeit zur Verhandlung”.
4. Konsultation
Die Konsultation ist ein wichtiger Schritt auf der Leiter der Bürgerbeteiligung. Dies kann in Form von Nachbarschaftstreffen, öffentlichen Anhörungen oder Umfragen geschehen. Nach Arnsteins Definition handelt es sich jedoch nicht um eine Bürgerbeteiligung, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Anliegen und Ideen der Bürger berücksichtigt werden. Diese Form bleibt nur eine rituelle Augenauswischerei.
“Die Menschen werden in erster Linie als statistische Abstraktionen wahrgenommen, und die Beteiligung wird daran gemessen, wie viele zu Sitzungen kommen, Broschüren mit nach Hause nehmen oder einen Fragebogen ausfüllen. Was die Bürger bei all diesen Aktivitäten erreichen, ist, dass sie sich an der Beteiligung beteiligt haben. Und was die Machthaber erreichen, ist der Nachweis, dass sie die erforderlichen Schritte unternommen haben, um diese Menschen zu beteiligen.”
5. Abwiegelung
Oder Plakation. Dieser Grad der Beteiligung ist noch immer nur eine Pseudobeteiligung. Es könnte sein, dass einige wenige handverlesene “würdige” Personen für die Teilnahme an einem Ausschuss ausgewählt werden: “Wenn sie keiner Rechenschaft in der Gemeinschaft gegenüber haben und die traditionelle Machtelite die Mehrheit der Sitze innehat, können die “Quoten-Beteiligte” leicht überstimmt und überlistet werden”, schreibt Arnstein. Oder die Ergebnisse eines Ausschusses könnten in späteren Phasen mit einem Veto belegt oder ignoriert werden, weil die Machthaber sich das Recht vorbehalten, zu beurteilen, ob ein Anliegen oder eine Idee durchführbar oder legitim ist. Darüber hinaus könnte der Prozess so gestaltet werden, dass Betroffene nicht teilnehmen können, weil sie z. B. Kinderbetreuung brauchen, aufgrund von Arbeitszeiten keine Zeit haben oder immobil sind.
“Inwieweit die Bürger tatsächlich beschwichtigt werden, hängt weitgehend von zwei Faktoren ab: der Qualität der technischen Unterstützung, die sie bei der Formulierung ihrer Prioritäten erhalten, und dem Ausmaß, in dem die Gemeinschaft organisiert ist, um auf diese Prioritäten zu drängen.”
Plakation tritt auf, wenn die technische Unterstützung von drittklassiger Qualität ist, paternalistisch und/oder herablassend ist. Wenn Techniker keine innovativen Optionen vorschlagen oder vorschlagen können und bürokratisch reagieren, wenn die Bewohner auf innovative Ansätze drängen, ist das Ergebnis Tokenismus. Wenn die Gemeinschaft das Labyrinth des Partizipationssystems nicht versteht oder wenn das System absichtlich als Labyrinth angelegt ist, können die Bürger nicht auf ihre Ideen drängen oder ihre Anliegen voranbringen. Arnstein erklärte:
“[…] In den meisten […] Programmen wurde endlos viel Zeit damit verbracht, komplizierte Vorstands-, Ausschuss- und Arbeitsgruppenstrukturen für das Planungsjahr zu schaffen. Aber die Rechte und Verantwortlichkeiten der verschiedenen Elemente dieser Strukturen sind nicht definiert und unklar. Diese Unklarheit wird am Ende des […] Planungsprozesses wahrscheinlich zu erheblichen Konflikten führen. Denn dann könnten die Bürgerinnen und Bürger feststellen, dass sie sich wieder einmal umfassend beteiligt haben, aber nicht über das Maß hinaus profitiert haben, mit dem die Machthaber sie beschwichtigen wollen.”
6. Partnerschaft
Dies ist die Ebene, auf der die eigentliche Bürgerbeteiligung beginnt. Die Macht wird umverteilt. Die Planung und Entscheidungsfindung erfolgt in gemeinsamen politischen Gremien, Planungsausschüssen und mit Mechanismen zur Konfliktlösung. Die Strukturen und Regeln werden zu Beginn des Prozesses ausgehandelt und können nicht einseitig geändert werden. Arnstein stellte fest, dass “eine Partnerschaft am effektivsten funktionieren kann, wenn es eine organisierte Gesellschaft, Vereinswesen oder Gemeinschaft in der Gemeinde gibt, der gegenüber den Redeführern rechenschaftspflichtig sind; wenn die Bürgergruppe über die finanziellen Mittel verfügt, um ihren Engagierten angemessene Honorare für ihre zeitaufwendigen Bemühungen zu zahlen; und wenn die Gruppe die Mittel hat, ihre eigenen Techniker, Anwälte und Gemeindeorganisatoren einzustellen (und zu entlassen)”. Dieses Arrangement wird selten dadurch erreicht, dass die Machthaber diese Macht an die Bürger abgeben, um eine Partnerschaft zu bilden, sondern in den meisten Fällen wurde sie von den Bürgern an sich gerissen. Nicht die Macht korrumpiert, sondern die Angst vor Machtverlust korrumpiert diejenigen, die Macht haben. Die Bürger haben in dieser Partnerschaft echten Einfluss auf das Ergebnis.
7. Delegierte Gestaltung
Auf dieser Ebene der Bürgerbeteiligung ist die Gemeinschaft in der dominanten Position im Entscheidungsprozess. Die Bürgerinnen und Bürger haben eine klare Mehrheit in Bezug auf die Macht, die sie ausüben, und können in den Prozess zwingen, dass ihre Anliegen zu berücksichtigen werden. Arnstein erklärt: “Um Differenzen zu lösen, müssen die Machthaber den Verhandlungsprozess in Gang setzen, anstatt auf den Druck der anderen Seite zu reagieren.”
8. Subsidiarität
Auf dieser Sprosse der Leiter ist die Verwaltung eines Programms oder Plans der lokalen Bürgerschaft übertragen worden. Das Prinzip der Subsidiarität besagt, dass Probleme auf der unmittelbarsten Ebene behandelt werden sollten, die mit ihrer Lösung vereinbar ist. Dies steht im Gegensatz zu ein immer stärker werdende zentralisierte Staat, wo Entscheidungen immer Weiterweg von den Bürgern, die von ihnen betroffen sind, getroffen werden. Arnstein weist auch auf die Gefahren eines von den Bürgern kontrollierten Prozesses hin, indem sie beschreibt, wie eine neue Struktur mit neuen Machthabern und einer neuen Klasse von Machtlosen entstehen könnte, wie dies zu einer Balkanisierung der öffentlichen Dienste führen könnte oder wie die Bürgerschaft zwar die Kontrolle über einen Prozess erlangen kann, aber möglicherweise nicht über ausreichende Mittel oder Fachkenntnisse verfügen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen.
Konklusion
Auch 50 Jahre nach der Veröffentlichung von Sherry Arnsteins “A Ladder Of Citizen Participation” ist die Kategorisierung der verschiedenen Arten der Beteiligung immer noch zutreffend und kann in allen Formen in verschiedenen Prozessen, die heute als Bürgerbeteiligung deklariert werden, beobachtet werden. Wenn Sie ein Bürger sind, der sich beteiligen möchte, ist es wichtig, dass Sie erkennen, auf welcher Sprosse der Leiter Sie stehen und verstehen, wie Sie eine höhere Stufe erreichen können.
Leseempfehlungen
Bürgerbeteiligung – Wie die Stadt Wien ihre Bürger mit Liebe erdrückt – Wiener Zeitung Online
Sherry R. Arnstein (1969) A Ladder Of Citizen Participation, Journal of the American Institute of Planners, 35:4, 216-224, DOI: 10.1080/01944366908977225
American Association of Colleges of Osteopathic Medicine: Climbing the Ladder: A Look at Sherry R. Arnstein
The Washington Post: Obituary 1997 Sherry Arnstein Deis
Barbara Wisse, Diana Rus, Anita C. Keller & Ed Sleebos (2019) “Fear of losing power corrupts those who wield it”: the combined effects of leader fear of losing power and competitive climate on leader self-serving behavior, European Journal of Work and Organizational Psychology, 28:6, 742-755, DOI: 10.1080/1359432X.2019.1635584
The principle of subsidiarity described by the European Parliament which was agreed on in the Treaty on European Union (TEU) in 1992.
Lauria, M., & Slotterback, C.S. (2020). Learning from Arnstein’s Ladder: From Citizen Participation to Public Engagement (1st ed.). Routledge. DOI: 10.4324/9780429290091
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